Dirk Häcker ist Leiter der Entwicklung bei der BMW M GmbH und damit federführend im Bereich Elektrifizierung sowie der Entwicklung des neuen BMW M Technologieträgers für innovative Antriebs- und Fahrwerksregelsysteme. Das Versuchsfahrzeug verfügt über ein völlig neues Allrad-Antriebssystem und eine integrierte Fahrdynamikregelung, die gemeinsam für ein bisher unerreichtes Performance-Niveau und Erlebnis sorgen. Im Interview geht der Entwicklungsingenieur auf das Thema Elektromobilität bei BMW M ein, erklärt alle Details zum neuen Hochleistungskonzept und was man vom stärksten Buchstaben der Welt in den kommenden Jahren erwarten darf.
BMW M Magazin: Herr Häcker, wann wird BMW M elektrisch?
Dirk Häcker: BMW M ist bereits elektrisch! Wir haben im Jubiläumsjahr der Marke sowohl den BMW i4 M50 als auch den BMW iX M60 auf den Markt gebracht. Zwei echte, vollelektrische Performance-Automobile von BMW M. In diesem Jahr folgen BMW i7 M70 xDrive und BMW i5 M60 xDrive , die beide eine neue Stufe der Elektrifizierung von Performance-Modellen einleiten
Wann beginnen Sie die High-Performance-Modelle zu elektrifizieren?
Auch hier ist es tatsächlich so, dass wir nicht mit der Elektrifizierung beginnen, sondern bereits mitten in der Umsetzung sind. Wir sprechen hier von Mild- und Plug-in-Hybridsystemen, die aktuell für High-Performance-Modelle entwickelt und in den nächsten Jahren sukzessive auf den Markt gebracht werden. Alles natürlich im Hinblick darauf, dass wir zu einem späteren Zeitpunkt auch ein vollelektrisches Fahrzeug in dieser Kategorie anbieten werden.
Mit welcher Philosophie wird BMW M das Zeitalter der High-Performance-Elektromobilität einläuten?
Was uns seit Bestehen der Marke immer wichtig war und bis heute ist: Wenn wir ein neues Fahrzeug oder ganze Generationen von neuen Modellen vorstellen, die ein neues Kapitel der Antriebstechnologie aufschlagen – wie etwa damals der Übergang von den Saugmotoren zu turboaufgeladenen Triebwerken oder die Einführung des Allradantriebs M xDrive – haben wir grundsätzlich den Anspruch, das fahrdynamische Versprechen der Vergangenheit mindestens zu halten. Aber eben dann nochmal einen Step weiterzugehen, Innovationen zu zeigen, mit denen der eine oder andere Kunde oder Fan vielleicht gar nicht gerechnet hat. Unsere Philosophie bei einem so großen Technologiesprung, wie sie die Elektrifizierung zweifelsohne ist, lautet daher: Die M typische Dynamik, Agilität und Präzision die unserer Fahrzeuge auszeichnet und unsere Kunden weltweit lieben, soll auch die Basis für die Identität der künftigen, elektrifizierten Modelle sein. BMW M wird die Elektrifizierung in vollem Umfang zu nutzen wissen!
Vollelektrische Sportwagen polarisieren noch immer. Was sagen Sie überzeugten BMW M3 Fahrern, die einen BMW M nur mit klassischem Reihen-Sechszylinder-Motor verbinden?
Fürchtet euch nicht! Aber im Ernst: Ich bin selbst ein großer Fan unserer bisherigen Motorentechnologie und sehe mich als Teil der Community. Ich fahre den aktuellen BMW M4 als Dienstwagen und habe in meiner Garage auch ältere Modelle der Baureihe stehen. Wenn wir bei BMW M ein vollelektrisches High-Performance-Modell entwickeln, bin ich mir und ist sich das gesamte Entwicklerteam immer bewusst, woher wir kommen und wohin es gehen muss. Dafür stehe ich und da kann ich mich auf das gesamte Team absolut verlassen. Dabei ist auch unerheblich, in welchem Fahrzeugsegment oder mit welchem Antrieb wir etwas entwickeln, ich bin mir sicher, wir werden die Erwartungen mindestens erfüllen, idealerweise wieder übererfüllen. Denn wir wollen auch in Zukunft selbst zu den größten Fans unserer Fahrzeuge gehören.
Wir wollen auch in Zukunft selbst zu den größten Fans unserer Fahrzeuge gehören.
Kürzlich hat BMW M besagten Technologieträger im High-Performance-Segment vorgestellt. Wie haben Sie sich bei der ersten Fahrt gefühlt?
Was für eine beeindruckende Beschleunigung! Es war darüber hinaus die hervorragende Kurvendynamik und eine sehr feinfühlige Fahrzeug-Regelung, die mir sofort aufgefallen sind – Eigenschaften, die bei keinem M zu kurz kommen dürfen.
Was begeistert Sie am meisten am neuen Antriebskonzept des jetzt vorgestellten Technologieträgers?
Das Antriebskonzept als solches: Wir arbeiten hier mit vier Elektromotoren, also ein Motor pro Rad! Das bedeutet nicht nur, dass jedes einzelne Rad Vortrieb generieren kann, sondern auch, dass es sich unabhängig von den anderen abbremsen lässt. Wir können damit den Fahrerwunsch präziser, schneller und unabhängiger voneinander umsetzen als je zuvor – und das mit der fantastischen Leistung von vier Motoren. Mit einer konventionellen Antriebstechnologie ist so etwas einfach nicht möglich. Um diesen gewaltigen Performance-Vorteil zu nutzen, ist der von uns entwickelte, integrierte Regelungsalgorithmus neben den vier Motoren ein wesentlicher Erfolgsfaktor für das Konzept. Wir nutzen diesen Fahrkoordinator als zentrale Stelle, um für jeden einzelnen E-Motor und damit für jedes einzelne Rad die jeweils ideale Kraftübertragung in jeder Fahrsituation zu errechnen.
Das bedeutet natürlich auch, dass die Batterietechnologie neben einer schnellen Energieabgabe bei voller Beschleunigung auch mit der sofortigen Aufnahme von Energie klarkommen muss – denn die Rekuperationsleistung der vier Motoren wird bedeutend höher sein als die aktueller E-Fahrzeuge. Wir sind davon überzeugt, dass sich mit einem solchen Konzept eine ganz neue Dimension von Performance eröffnet. Vielleicht ist es sogar die ultimative Ausbaustufe in diesem Bereich – ich als Ingenieur wüsste aktuell nicht, welches Antriebskonzept wir verfolgen könnten, das noch besser funktioniert. Voraussetzung ist natürlich, dass die Energiespeicher und E-Motoren das leisten können, was wir uns vorstellen. Damit das Fahrzeug als gutes Gesamtfahrzeugkonzept dargestellt werden kann. Wir betreiben die Entwicklung dieses Technologieträgers mit großer Begeisterung.
BMW baut seit über einem Jahrzehnt Elektrofahrzeuge in Serie. Ist das ein Vorteil bei der Entwicklung des Hochleistungssportwagens von BMW M?
Ja, definitiv. Wir können auch bei einem Hochleistungsfahrzeug auf die vielen Erfahrungen im Konzern zurückgreifen. Das gilt insbesondere bei Entwicklung und Bau von E-Motoren und Energiespeicher. Wir können damit besser beurteilen, was bereits sehr gut funktioniert und wo noch Potenziale schlummern. Zusammen mit unserer Erfahrung bei der Entwicklung des Allradantriebs M xDrive, der ebenfalls eine komplexe Regelung der Fahrparameter erfordert, ist das eine sehr gute Voraussetzung für die Entwicklung unseres neuen Hochleistungskonzepts.
Wie lange hat die Entwicklung des Testfahrzeugs gedauert und welche Herausforderungen hat das Projekt bis jetzt mit sich gebracht?
Mit einem vollelektrischen High-Performance-Fahrzeug beschäftigen wir uns bereits seit vier bis fünf Jahren. Das jetzt vorgestellte Versuchsfahrzeug stellt gewissermaßen schon die zweite Fahrzeuggeneration dar und verfügt bereits über eine weiter fortgeschrittene Technologie als die erste, nicht veröffentlichte Studie. Diese Entwicklung des auf der ersten Generation aufbauenden Technologieträgers hat knapp drei Jahre beansprucht – von der ersten Idee bis zum heutigen Stand des Projekts. Die größte Herausforderung ist ganz klar die neue Antriebstechnologie. Das gesamte Design der Fahrzeugarchitektur muss dem komplexen Gesamtsystem gerecht werden. Das hat uns an der einen oder anderen Stelle wirklich Hirnschmalz gekostet. Auch Engpässe bei Lieferanten und Logistikketten haben uns in den letzten beiden Jahren vor mehr Herausforderungen gestellt als üblich. Umso glücklicher sind wir, dass wir das Modell jetzt erstmals richtig nutzen und testen können.
Gibt es Unterschiede im Vergleich zur Entwicklung der bisherigen BMW M Modelle?
Da wir beim gesamten Antriebsstrang auf eine neue Technologie setzen, mussten wir bei der Entwicklung weiter vorne beginnen. Im Vergleich zu herkömmlichen Antrieben und Regelsystemen mit Verbrennungsmotor, Allradsystem mit Sperrdifferenzialen und anderen Umfängen, bei denen man evolutionär vorgehen kann, ist der neue Versuchsträger mit seinen vier unabhängig arbeitenden E-Maschinen tatsächlich ein großer Schritt. Daher musste bei dem Projekt auch schon früh feststehen, was ein- und umgesetzt werden soll, um während der Entwicklungsphase nicht noch vor zusätzlichen Herausforderungen zu stehen. In der Summe hat das bisher hervorragend funktioniert.
Handelt es sich bei dem Versuchsträger um eine komplette Neuentwicklung oder wurden auch Elemente von anderen BMW M Modellen übernommen?
Unserer Meinung nach gehört zu einem echten High-Performance-Fahrzeug von BMW M neben dem einzigartigen Antrieb auch immer eine spezifische Anpassung von Achskonstruktion und Karosserie. Man sieht beim Konzeptfahrzeug daher die M typischen, breit ausgestellten Radhäuser, um dort auch die Achsen von BMW M3 und M5 unterzubringen. Davon versprechen wir uns nicht nur ein deutliches Plus bei der Fahrdynamik. Auch optisch ist die Hochleistungs-DNA des Fahrzeugs damit sofort zu erkennen. Das Basisfahrzeug, der BMW i4 M50, hatte insofern den Vorteil, als wir das Gehäuse des Energiespeichers nutzen konnten. Die verwendete Zelltechnologie darin ist jedoch eine andere.
Ist das Fahrzeug bereit für einen Abstecher auf die Rennstrecke – ähnlich wie bisherige High-Performance-Fahrzeuge der M GmbH?
Ja, das Modell wird auf Rennstrecken genauso souverän funktionieren und höheren Belastungen standhalten, wie es auch unsere bisherigen M Automobile tun. Das ist auch unser ganz persönlicher Anspruch im Team, und seien wir ehrlich: Ohne eine Rennstreckentauglichkeit wäre das Modell auch kein authentischer BMW M.
Ist die Rennstrecken-Performance des Fahrzeugs also mit jener von herkömmlich angetriebenen M Modellen vergleichbar?
Ja, absolut! Das ist das Ziel.
Sehen Sie derartige Antriebskonzepte auch im Motorsport?
Es ist eine Frage der Zeit, aber ja, ich denke schon. Einige Bereiche des Motorsports gehen bereits den Weg der Elektrifizierung, wenn auch nicht vollelektrisch, sofern man einmal von der Formel-E mit ihrem vergleichsweise einfachen Antriebsstrang mit nur einem Motor absieht. Wenn es in Zukunft gelingt, vermehrt vollelektrische Hochleistungsfahrzeuge darzustellen, sind entsprechende Rennsportpendants vorstellbar. Man darf nicht vergessen, dass große Teile des internationalen Motorsports auf Straßenfahrzeugen in entsprechender Ableitung basieren. Es dürfte daher noch ein wenig dauern. Mein Anspruch wäre zudem, dass solche Rennwagen auch langstreckentauglich sind, schon wegen der flexibleren Einsatzgebiete bei populären Veranstaltungen wie etwa dem 24-Stunden-Rennen am Nürburgring oder in Le Mans. Betrachtet man hingegen Rennen mit kürzeren Distanzen, wie etwa Bergrennen, ist man bereits an dem Punkt, an dem man mit konventionellen Antrieben überhaupt keine Chance mehr hat. Da kann der vollelektrische Antrieb das Führungsfeld schon heute übernehmen.
Wann können wir mit dem ersten vollelektrischen High-Performance-Modell von BMW M rechnen? Werden bereits Bestellungen angenommen?
Obwohl hier ein sehr großes Team mit viel Leidenschaft und Herzblut an diesem herausragenden Konzept arbeitet, muss ich leider sagen: Die Bestellbücher sind noch nicht offen. Wir werden noch ein wenig Zeit brauchen bis zur Serienreife des Fahrzeugs. Aber ich verspreche: Was wir machen, wird besonders. Das Warten lohnt sich.
Herr Häcker, vielen Dank für das Interview.